Dem Schwellentroll von Marie Gräff ist die Blogparade Vertrauen zu verdanken – und dieses Thema trifft ja mitten rein ins Kerngeschäft von Supervision & Coaching. Deshalb mag ich gerne ein bisschen nachdenken – und freue mich über Feedback und Kommentare!
Vertrauen ist für mich eine „große Sache“. Menschen, die sich mir anvertrauen, trauen mir einiges zu. Der Begriff „vertrauens-würdig“ spricht da ja Bände: Meine Supervisanden und Coachees haben Erwartungen an mich, dass ich z.B. sorgsam mit ihnen bin, sie nicht korrumpiere, sondern ihre Integrität unter allen Umständen wahre. Sie vertrauen mir.
„Vertrauen“ meint die prinzipielle Unterstellung an den Anderen, dass er es gut mit mir meint – bedingungslos.
In Coaching und Supervision stehen hohe Werte auf dem Spiel! Und diesem Wertvollen muss ich mich als Coach würdig erweisen. Keinen Vertrauens-Bruch zu begehen, gehört da dazu. Und das meint weit mehr, als die Inhalte eines Gesprächs nicht nach außen zu tragen. Meine Loyalität gilt den Menschen, die mit mir arbeiten. Verlässlichkeit und Aufrichtigkeit schützen diese vertrauliche Beziehung – von beiden Seiten.
Vertrauen ist eine riskante Vorleistung
Das Faszinierende an „Vertrauen“ ist, dass es nur dann wachsen kann, wenn man das Risiko eingeht, es zu leben: Eine vertrauensvolle Beziehung braucht Zeit um zu wachsen und braucht „Vertrauen“ als Vorleistung, damit sie gelingen kann. Und damit ist immer das Risiko verbunden enttäuscht zu werden, das Risiko, dass mein Gegenüber, dem ich vertraue hinter meinen Erwartungen zurück bleibt.
Und da fängt es an, spannend zu werden.
Ich behaupte, dass Vertrauen genau an diesem Punkt seine tragfähige Stärke entfalten kann: Wenn mein Gegenüber nicht so ist, nicht so handelt, wie ich es von ihm erwarte – und ich gerade dann mit ihm Kontakt bleibe, das Gespräch suche und den Dialog finde. In der Höchstform bedeutet das ein vertrauensvolles Gespräch darüber, einander nicht vertrauen zu können.
Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit!
Möglich wird das durch eine riskante Vorentscheidung – genau: durch dass Vertrauen, dass der Andere es prinzipiell gut mit mir meint!
Wenn ich „vertraue“ riskiere ich mich
Deshalb ist Vertrauen das genaue Gegenteil von „Naivität“: Wenn ich vertraue, ziehe ich ins Kalkül, enttäuscht zu werden. Vertrauen ist kein blauäugiges Unterfangen. Vertrauen ist die Entscheidung – dem Anderen zu trauen, meine Kontrolle ein Stück weit abzugeben und dem Anderen etwas zuzutrauen. Was? Genau: Ihm zuzutrauen, dass er es gut mit mir meint.
Deshalb ist Vertrauen auch nicht zwangsläufig begrenzt:
Vertrauen ist ein nachwachsender Rohstoff!
Ich bekenne: Ich bin ein vertrauensseliger Mensch. Zugegebener Maßen gibt es manche Berufsgruppen, denen ich aus Prinzip (bzw. aus Vorerfahrung) nicht vertraue – als Menschen, die mir als Mensch ein Gegenüber sind, vertraue ich Ihnen dennoch. Ich lasse auchmal meinen Geldbeutel im Cafè offen liegen – wissend, dass mich das unter Umständen auch etwas kosten kann. Ich genieße diese unbekümmerte Freiheit sehr und wäre bereit, dafür den entsprechenden Preis zu zahlen. Aber: Das muss ich nicht! Meiner Erfahrung nach, lohnt sich Vertrauen. Menschen, die spüren, dass ich ihnen unterstelle, dass sie es gut mit mir meinen, verhalten sich auch entsprechend!
Einer der Impulse der Blogparade fragt: „Eine Welt des grenzenlosen Vertrauens – ist das möglich? Wäre es eine bessere Welt oder eine, in der die meisten nur ausgenutzt würden?“ Ich glaube schon, dass das möglich ist. Ich bin sogar der festen Überzeugung, dass das möglich ist.
„Den Anderen ausnutzen“ ist eine Reaktion auf einen Mangel – wenn Vertrauen (richtig: das Zutrauen, dass es der andere gut mit mir meint!) fehlt, dann muss ich dafür sorgen, dass ich meine Sicherheit selbst herstelle. Dann kann ich mich nicht auf den Anderen verlassen.
Wo Solidarität an ihrem Ende angekommen wäre, wäre auch Vertrauen ein Irrsinn. Dann wäre Unsicherheit, das „mich riskieren“ eine untragbare Bedrohung.
Ist sie aber nicht. Muss sie auch nicht! Menschen können sich dann zeigen, wie sie sind, können dann Vertrauen wagen, wenn ihnen Vertrauen entgegen gebracht wird (wie war das doch gleich – ach ja: Wenn sie spüren, dass es der andere gut mit ihnen meint!)
Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.
Ich bin an sich ein ziemlich kritischer Geist: Der Zweifel ist einer meiner besten Freude. Ich glaube eigentlich nichts, bevor ich es nicht selbst durchdacht habe und mir die Überzeugung gebildet habe, dass es Sinn macht. Das macht mein Leben manchmal etwas kompliziert.
Davon, dass Vertrauen Sinn macht, bin ich allerdings zutiefst überzeugt. Dazu gehört auch ein sehr tiefes und tragfähiges Vertrauen in das Leben. Ich verstehe so manches nicht. Eigentlich verstehe ich ziemlich viel nicht.
Aber ich vertraue darauf, dass es Sinn macht – egal ob und wann ich es verstehe und selbst dann, wenn ich es nicht und nie verstehen sollte.
Das Vertrauen in das Leben wach zu halten, für mich und für andere – das ist vielleicht eine der wesentlichsten Haltungen in meinem Beruf als Coach und Supervisorin. Das ist stete Übung und manchmal auch harte Arbeit: das Vertrauen, dass das Leben es gut mit uns meint.