Grad lagen da noch die Servietten, die mir eine Klientin geschenkt hat, auf dem Tisch: „Einen Scheiß muss ich“ steht da groß drauf, dekoriert mit viel pink und Einhörnern. Ihr Dankeschön für die letzte Sitzung, hat sie beim Einkaufen gesehen und an mich gedacht – nicht so ganz mein Stil, aber gefreut hat’s mich aus zwei Gründen:

Zum einen bekomme ich immer gerne Geschenke, auch – oder vielleicht auch gerade dann – wenn es nicht nötig ist. Einfach so weil jemand an mich gedacht hat. Das mag ich. Und leider mache ich selbst das viel zu selten.

Und zum Anderen, weil sich mit diesem Satz etwas karikiert, was mir in meiner Arbeit sehr wichtig ist: Schau genau hin! Spür genau hin! Ist das, was Du tust, wirklich das, was Du willst – und ist es wirklich DEIN Auftrag, den Du da übernimmst?

Und ja – das ist was ganz anderes als sich auf’s Einhorn zu schwingen und laut zu rufen „Einen Scheiß muss ich!“

Gerade in der beruflichen Beratung, in Supervision, fällt mir auf, wie ungewohnt die Frage „Und was ist in dieser Situation Dein Auftrag?“ für viele Menschen, die mit Menschen arbeiten, ist.

Klar, meistens weiß man, was man tun soll – aber mit welchem Ziel und v.a. mit welchen Grenzen? Woher stammt der Auftrag? Ist er geklärt, weiß ich wirklich, was mein Vorgesetzter da von mir erwartet?

In einer bestimmten Rolle, an einer bestimmten Position muss – und darf – ich eben nicht alles tun, was ich als Person kann.

Spannend wird es, wenn in einer beruflichen Situation mehrere Aufträge zusammen kommen: der, der Firma für die ich arbeite; der, den mein Vorgesetzter mir (nicht) gegeben hat; den, den die Leute für die ich arbeite, mir geben (wollen). Und dann kommen da noch heimliche und manchmal auch unheimliche Aufträge dazu, die „die Kirche“, „der Staat“ oder auch das Universum höchstselbst stellt. Ganz zu schweigen von den Aufträgen, die ich mir selbst gebe – die ich aufgrund meines lebensgeschichtlichen Gewordenseins in mir spüre; die sich aus einem gewissen Unbehagen der Situation gegenüber, mir aufzudrängen erscheinen.

Ein solches eher zufälliges Zusammentreffen verschiedener Erwartungen an mich, erzeugt Druck und lässt oft das Gefühl von Ohnmacht und Überforderung entstehen. Oder in anderen Worten: Streß!

Auftragsklärung steht vor der Abgrenzung

Wenn ich nicht weiß, was mein Auftrag ist, kann ich meine Arbeit nicht professionell tun. Zur Professionalität gehört die Rollenklarheit – und die ist zuvorderst Auftragsklarheit.

Wenn das geklärt ist, kann ich mit meiner Arbeitszeit verantwortlich umgehen, darin Prioritäten setzen und dann auch NEIN! sagen, wenn Ansprüche an mich herangetragen werden, die nicht zu meinem Auftrag gehören.

Also:

Was an dem, was ich tun soll – „will“, was von den kleinen Aufgaben, die sich auf dem Schreibtisch stapeln,  führt dazu, dass ich meinen Auftrag gut erfülle? Was ist wirklich wichtig? Was schafft einen Wert?

Das Leben kann Spuren von „müssen“ enthalten

Es ist eine schöne Illusion, das „einen Scheiß muss ich!“ zu denken. Es gibt im Beruf schlicht und ergreifend Aufgaben, die ich tun muss – damit ich meinen Auftrag erfüllen kann.

Und auch im Privaten ist diese Abgrenzung des „einen Scheiß muss ich!“ zwar witzig – vor allem in Kombination mit der Idee, sich auf’s Einhorn zu schwingen und davon zu reiten. Nur: Wenn es da etwas gibt, was mir wichtig ist, was es mir Wert ist, mich dafür zu engagieren – dann ist es mehr als wahrscheinlich, dass ich ab und zu mal etwas tun muss, was unangenehm ist. Und ja: Natürlich ist das auch ein Glaubenssatz. Den kann man so denken, muss es nicht.

Klarheit über den Auftrag braucht auch ein JA! zu diesem Auftrag!

Ein solcher Auftrag – die damit verbundenen Ziele, die Vision, die mich antreibt, die Aufgaben – muss von mir auch aktiv angenommen werden. Eine Selbstverpflichtung auf dieses „Warum“. Dieses Warum hat die Kraft und die Dynamik, mich anzutreiben, in die Gänge zu kommen und auch in unangenehmen Situationen das Ziel zu verfolgen.

Meiner Erfahrung nach, hilft dieses Einverstandensein in das „müssen“, um zufrieden und entspannt mit dem Leben zu können zu dem ich JA! gesagt habe: Meinen Zielen und meiner Vision, meinen (beruflichen) Aufgaben – meinem Auftrag. Zu den Werten, die ich damit schützen und verwirklichen will.

„Gut ausatmen“ statt mich „einen Scheiß muss ich“-rufend auf’s Einhorn schwingen!

Sozialer Stress und empfundener Druck wirken unmittelbar auf den Körper – das ist das, was wir als Stress empfinden. Am Deutlichsten kann ich das an meiner Atmung merken: Da „bleibt mir die Luft weg“, das „hechle ich meinen Aufgaben hinterher“ – unter Umständen nimmt mir da was die Luft zum Atmen.

Und da kann es gut sein, bewusst auf die Atmung zu spüren, darauf zu achten, gut auszuatmen und nicht die Luft anzuhalten.

Einen Scheiß muss ich – echt jetzt?