Ich habe ja die Freude, mit ein paar wirklich klugen – und außerdem ziemlich netten – Männern zusammen arbeiten zu dürfen. Einer von ihnen lacht sich immer wieder mal kringelig, wenn es um das Thema „sich selbst lieben“ geht. So ganz verstanden habe ich ja nie, was er daran so lustig findet und warum er meint, dass das eigentlich gar nicht gehen würde, sich selbst zu lieben, weil Liebe doch immer auf eine(n) Anderen gerichtet und eng mit der Hingabe an „etwas“, das eben nicht „ich“ ist, verbunden sei. Ach, nur um es klar zu stellen: Der Gute ist übrigens so gar nicht von Selbsthass erfüllt, er scheint recht glücklich und einverstanden mit sich zu sein.
Der Spruch auf meiner Lieblingskaffeetasse war lange Zeit der von Oscar Wilde: „Sich selbst zu lieben ist der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft“. Nun: Die Tasse ist kaputt gegangen.
Aber: Warum erzähle ich das? Eigentlich nur, weil ich heute beim Friseur warten musste, einen Blick in die aktuellen Frauenzeitschriften geworfen habe und mir mal wieder so ein Gefühl von Unwirklichkeit in meine Haarspitzen gekrochen ist. Mir scheint es, als wären die „psychologischen Artikel“ in diesen Zeitschriften ebenso auf „Selbstliebe“ gepolt wie es die unsäglichen Posts in den sozialen Medien sind und die soaps und Serien im Fernsehen: Ich lese da die stete Mahnung, „auch mal an sich selbst zu denken“, sich „Zeit für sich zu gönnen“, die eigenen Träume zu verwirklichen, der „Weisheit des Herzens zu folgen“ und sich nur mit den Menschen zu umgeben, die „mir wirklich gut tun“ – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen…
Das mach ich aber nicht. Mir gehen diese Ratschläge nämlich gehörig auf den Geist. So wie es mich auch zunehmend irritiert, dass Achtsamkeit, Yoga, Mediation – also ansich spirituelle Übungswege, um in Kontakt mit sich selbst und dem Ewigen zu kommen, so unglaublich marktgängig geworden sind. Ich stehe da oft mit großer Faszination vor dem Zeitschriftenregal an der Tankstelle. Man könnte fast meinen, mit dem Kauf einer dieser wirklich schön gemachten Magazine, käme mein oft mal etwas chaotisches Leben wie von alleine in eine ewig dauernde Balance. Was ja bekanntlich eine Illusion ist: Balance lebt davon, dass es immer wieder Unsicherheit und das Beinahewegkippen gibt. Eine „ewig dauernde Balance“ wäre Starrheit, Beziehungslosigkeit – der Tod.
Jedenfalls, als mir die Haarspitzen mitsamt meinem Unbehagen weggeschnitten wurden und ich bei ziemlich guter Musik in der wohlig warmen Ruhe des Friseursalons vor mich hin dachte, fiel mir das Kringelkichern meines Kollegen ein. Und da war er urplötzlich da, der Satz „Hört endlich auf, euch selbst zu lieben!“
Damit meine ich natürlich nicht, dass es verkehrt wäre, in Freundschaft mit sich selbst und seinem Gewordensein zu leben, einverstanden zu sein mit dem was ist und was war und was sein wird. Wohl aber meine ich, es würde „uns“ gut tun, mal wieder mit dem Starren auf den eigenen Bauchnabel aufzuhören und damit „die Göttin in mir zu grüßen“. Und bei der Gelegenheit vielleicht auch wieder mit dem lifestyle-Meditieren und der Hausfrauen-Gymnastik unter dem Label „Yoga“ Schluß zu machen.
Immer öfter habe ich den Eindruck, dass sich Frauen in den besten Jahren mit einer großen Leidenschaft mit sich selbst auseinander setzen und das „Selbstliebe“ nennen – anstatt sich mit dem wie sie (geworden) sind zusammenzusetzen und aus dieser Ruhe heraus ihre Kraft zu nutzen.
Sich mit sich selbst auseinander setzen – stellen Sie sich das mal bildlich vor: Wie ist das, wenn ein Lehrer Schüler/innen auseinander setzt… wenn Erwachsene sich auseinander leben…
Das ist doch ziemlich genau das Gegenteil von „in Kontakt miteinander sein“, das Gegenteil von Hingabe, „sich gänzlich einlassen“ und „für den Anderen einstehen“. So verstehe ich jedenfalls Liebe…
Vor lauter Meditations-, Yoga- und Mindfulness-Training verlieren wir die Liebe und zugleich das, was diese Traditionen so wertvoll macht: die Gelassenheit, Dinge so nehmen wie sie sind – und damit verlieren wir auch die Ruhe und die Kraft für das Engagement, das sich kümmert um die, die in Not sind. Vor lauter „sich selbst lieben“ verlernen wir das Lieben.
Irgendwann war mein Friseur dann auch am Ende, hat sich sehr liebevoll (!) bei mir dafür bedankt, dass er „einfach in Ruhe schneiden durfte“ und noch ein wirklich gutes Finish hingestreichelt – und mir kam eine „Tagebuchnotiz“ von Fritz Perls in den Sinn, die mich dann doch davon überzeugt hat, dass mein kichernder Kollege irgendwie Recht hat und dieser blog-Artikel geschrieben werden will:
Kein Adler wird ein Elefant sein wollen und kein Elefant ein Adler.
Sie „akzeptieren“ sich „selbst“. Nein, sie akzeptieren sich noch nicht einmal selbst, denn das würde eine mögliche Ablehnung einschließen. Sie nehmen sich so an wie sie sind. Nein, sie nehmen sich auch nicht einmal so an, wie sie sind, denn das würde die Möglichkeit des Andersseins beinhalten. Sie sind einfach. Sie sind was sie sind was sie sind.